Der Tod des Dichters John Keats

John Keats 1819, Bild von Joseph Severn

1. England

Es heißt, der Dichter John Keats sei gestorben, weil er bei einer Kutschfahrt in eisigem Wetter, von London kommend, einen Platz im Freien eingenommen hat – um Geld zu sparen. Tatsächlich erreicht Keats sein Haus in Hampstead am 3. Februar 1820 geschwächt und fiebernd. Noch am selben Abend teilt er seinem Freund und Mitbewohner, dem Schriftsteller Charles Armitage Brown mit, dass er wohl sterben müsse.

Brown schreibt später über den Vorfall:

„On entering the cold sheets, before his head was on the pillow, he slightly coughed, and I heard him say, – 'That is blood from my mouth.' I went towards him; he was examining a single drop of blood upon the sheet. 'Bring me the candle, Brown; and let me see this blood.' After regarding it steadfastly, he looked up in my face, with a calmness of countenance that I can never forget, and said, – 'I know the colour of that blood; – it is arterial blood; – I cannot be deceived in that colour: – that drop of blood is my death-warrant: – I must die.

An dem winzigen Fleck hellen Blutes auf seinem Kopfpolster erkennt John Keats also, dass sein „Todesurteil gesprochen“ sei. Als studierter Mediziner (er besteht seine Examen zum „apothecary, physician or surgeon“ im July 1816) diagnostiziert er an sich selbst die ersten Symptome der damals als unheilbar geltenden Tuberkulose. John Keats ist noch keine 25 Jahre alt. Seine Karriere als Arzt hat er schon lange aufgegeben, um sich ganz auf das Dichten zu konzentrieren.

Erst drei Jahre zuvor, im Jahr 1817, ist Keats von der stickig-engen Innenstadt in ein kleines Dorf im Norden Londons, nach Hampstead, gezogen, wo man sich für seinen bereits damals an Tuberkulose erkrankten Bruder Tom ein gesünderes Umfeld erhofft. Toms Zustand verschlechtert sich dennoch, am 1. Dezember 1818 stirbt er im Alter von nur 19 Jahren. Nach seinem Tod lädt Charles Armitage Brown John Keats ein, in seinem Haus Wentworth Place Unterkunft zu beziehen. Keats, wie immer in Geldnot, willigt in das großzügige Angebot seines Freundes ein.

Charles Armitage Brown, selbst nur mäßig erfolgreich, teilt sich sein ohnehin nicht großes Haus mit der Dilke-Familie, das Erdgeschoss ist durch eine eigens errichtete Wand getrennt, den Garten nutzt man gemeinsam, man trifft sich zu ausgedehnten Spaziergängen in den Hügeln und Wäldern Hampsteads, spielt Karten und speist des öfteren miteinander. Im April verlassen die Dilkes Wentworth Place und die Familie Brawn zieht ein. Die älteste Tochter der Brawns, die 18-jährigen Fanny, freundet sich mit John Keats an und trotz seiner wenig erfreulichen finanziellen Situation wird bald die Verlobung arrangiert. Die fruchtbarste Schaffensperiode in John Keats' Leben beginnt. Er verfasst Werke wie 'La Belle Dame sans Merci', 'Ode to Psyche', 'Ode to a Nightingale', 'Ode on a Grecian Urn', 'Ode on Melancholy', and 'Ode on Indolence', später, nach einer Reise zur Isle of Wight, 'Lamia', 'The Fall of Hyperion' und die Ode 'To Autumn'.

Browns und Keats’ Wohnzimmer heute

Im Februar des Jahres 1821 dann die eingangs erwähnte Kutschfahrt, Keats erkrankt an Tuberkulose und muss sich in Quarantäne begeben. Für zwei Monate verlässt er sein Zimmer nicht. Während dieser Zeit verfasst er ausführliche Briefe an Fanny, die, nur durch eine Wand von ihm getrennt, auf ihn wartet.

Endlich geht es Keats besser, doch die gemeinsam Zeit mit Fanny ist wieder nur von kurzer Dauer. Den Sommer verbringt er bei Freunden in Kentish Town. Keats schreibt an Fanny:

„I have two luxuries to brood over in my walks, ...your loveliness, and the hour of my death".

Im August kehrt Keats nach Wentworth zurück, wo er von Fanny gepflegt wird. Trotzdem verschlechtert sich sein Zustand zusehends und obwohl Keats sein Schicksal angenommen zu haben scheint, weigern sich seine Freunde, das Unvermeidliche zu akzeptieren. Gemeinsam finanzieren sie dem Sterbenskranken einen Kuraufenthalt in Italien, wo er die nächsten Monate verbringen soll. Den Winter in England, so ein befreundeter Arzt, würde er nicht überleben. Fannys Mutter verspricht, nach Keats' Rückkehr könne Hochzeit gefeiert werden.

John Keats hat zu diesem Zeitpunkt drei Bücher veröffentlicht.

2. Italien

Im September besteigt John Keats mit einem weitläufigen Bekannten (dem einzigen, der sich zu der Reise bereit erklärt hatte), dem Maler Joseph Severn, ein Schiff Richtung Neapel. An Bord schreibt er die finale Version seines wohl bekanntesten Gedichts „Bright Star“.

Bright Star! would I were stedfast as thou art —
Not in lone splendour hung aloft the night,
And watching, with eternal lids apart,
Like nature's patient, sleepless Eremite,
The moving waters at their priestlike task
Of pure ablution round earth's human shores,
Or gazing on the new soft-fallen masque
Of snow upon the mountains and the moors.
No — yet still stedfast, still unchangeable,
Pillow'd upon my fair love's ripening breast,
To feel for ever its soft swell and fall,
Awake for ever in a sweet unrest,
Still, still to hear her tender-taken breath,
And so live ever — or else swoon to death.

In Neapel angelangt müssen Keats und Severn für zehn Tage in Quarantäne (in London ist eine Typhus-Epidemie ausgebrochen). Sie erreichen Rom schließlich am 21. Oktober, wo sich ein englischstämmiger Arzt um den Kranken bemüht. Auch Severn kümmert sich aufopfernd um seinen Freund, er schreibt regelmäßig Briefe nach London, in denen er ausführlich Keats' Zustand und Lebensumstände schildert. Dieser kommt langsam wieder zu Kräften, kann sogar ausreiten, im Dezember 1820 erleidet er jedoch einen Rückfall und wird schnell schwächer. Am 23. Februar 1821 stirbt John Keats im Beisein Severns in seiner kleinen Wohnung, direkt an der heute von Touristen und Taschendieben bevölkerten “Spanischen Treppe”, fern seiner geliebten Fanny.

Blick von Keats’ Sterbezimmer auf die “Spanische Treppe”, Rom

Drei Tage später wird Keats am Protestantischen Friedhof in Rom begraben. Seine Freunde Severn und Brown errichten später einen Grabstein, auf dem in Keats' eigenen Worten steht:

‘Here lies one whose name was writ in water’.

3. Hampstead

Wer heute nach Hampstead kommt und durch die gewundenen, oft leicht ansteigenden Gassen schlendert, hat das Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein. In prächtigen Gärten stehen beeindruckende Villen, Klinkerziegel prägen das Erscheinungsbild. Hampstead gilt als eine der wohlhabendsten Gegenden Londons, es ist ein Ort der Berühmtheiten, der Stars. Weltbekannte Musiker und Schauspieler wie Sting, Michael Palin, Ricky Gervais, Ringo Starr, Boy George, Judy Dench, Emma Thompson, Jeremy Irons, Liam Gallagher, Helena Bonham Carter, Alan Bates, und der Regisseur Ridley Scott residieren in Hampstead. Aber auch große historische Persönlichkeiten ließen sich hier nieder – etwa der Maler John Constable, der Schriftsteller George Orwell, Sigmund Freud, H.G. Wells, D.H. Lawrence, Judy Garland, Elizabeth Taylor und Daphne Du Murier.

John Keats' und Fanny Brawns ehemaliges Wohnhaus liegt an einer ruhigen, baumbestandenen Straße . Es ist zu einem Museum umfunktioniert (eröffnet im Jahr 1931) und wird jährlich von tausenden Touristen besucht. Für Veranstaltungen kann es angemietet werden, regelmäßig finden Schul-Workshops statt.

4. Severn, Brown, Brawn

Joseph Severn bleibt nach John Keats Tod in Rom und feiert als Maler seinen Durchbruch, seine Arbeiten sind bei britischen Reisenden äußerst beliebt, er erhält zahlreiche Aufträge und wird zum Mitgründer der British Academy of Arts in Rome. 1841 kehrt er nach London zurück, wo er an seine Erfolge nicht anknüpfen kann. (Einmal muss er vor seinen Gläubigern auf die Insel Jersey fliehen.) Später wird er Britischer Konsul in Rom. Er stirbt im Alter von fünfundachtzig Jahren in London.

Keats' Freund Charles Armitage Brown reist im Jahr 1822 selbst nach Italien, zunächst nach Pisa, dann nach Rom, wo er bei Severn einzieht. Im Jahr 1834 erleidet er einen Schlaganfall. Ein halbes Jahr später kehrt er nach England zurück, um seinem Sohn eine bessere Ausbildung zu ermöglichen. 1841 schließlich emigriert Brown, nachdem er eine Bürgschaft für einen anderen Freund begleichen muss, wirtschaftlich ruiniert nach Neuseeland, wo er ein Jahr später fünfundfünfzigjährig verstirbt.

Joseph Severn

Charles Armitage Brown, Fotografie ca. 1840

Fanny Brawn werden die zunehmend schlechten Nachrichten, die in unregelmäßigen Abständen aus Italien eintreffen, zunächst vorenthalten, im Gegenteil, man versichert ihr, Keats' Gesundheit würde sich stetig verbessern, man rechne mit seiner raschen Genesung. Am 17. März 1821 dann erreicht sie die Nachricht, dass Keats in den Armen Joseph Severns verstorben sei.

Fanny lässt ihr Haar kurz schneiden, sie trägt von nun an schwarz und zieht sich ins Private zurück, so wie es eine tatsächliche Witwe getan hätte. Sie beginnt eine langjährige Korrespondenz mit Keats' Schwester Frances, mit der sie von nun an eine enge Freundschaft verbinden wird. Zwei Jahre nach Keats' Tod nimmt Fanny Frances in den Haushalt der Brawns auf.

Fanny trauert sechs Jahre, dann legt sie die schwarze Trauerkleidung ab und wird wieder gesellschaftlich aktiv. Doch da zeigt auch ihr Bruder Samuel erste Anzeichen der Tuberkulose. Er stirbt im März 1828. Fannys Mutter kommt keine zwei Jahre später ums Leben, als ihr Kleid an einer Kerze Feuer fängt.

Zwölf Jahre nach John Keats' Tod lernt Fanny in Boulogne, Frankreich, Louis Lindo kennen. Die beiden heiraten und haben drei Kinder – Edmund, Herbert und Margaret.

Fanny Brawn, Fotografie ca. 1850

Fanny Brawn, 1833

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