Falaises D’Ault

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Über das kleine Städtchen Ault an der französischen Atlantikküste schreibt Victor Hugo im Jahr 1837 in einem Brief an seine Frau Adèle: „Dieser Ort ist so schön, dass ich kaum meine Augen davon abwenden konnte.“ Tatsächlich liegt Ault, das sich entlang einer Schneise zwischen weitläufigen Wiesen und Feldern Richtung Meer hinab windet, an einer geografisch äußerst interessanten Stelle. Hugo, der zu dieser Zeit etwa hundert Kilometer südlich in Villequier in einer Villa direkt am Seine-Ufer wohnt, begründet seine Reise nach Ault mit eben dieser besonderen Lage: „Was mich in die Stadt Ault brachte, ist, dass hier die Klippen beginnen.“ Die normannische Steilküste, die sich, von Le Havre nordwärts über 120 Kilometer erstreckt und die auf der anderen Seite des Ärmelkanals mit den berühmten englischen Kreidefelsen ein nicht weniger beeindruckendes Gegenüber hat, endet (oder, wie Hugo es sieht, beginnt) genau hier. Nördlich der Ortschaft Ault ist der Strand sandig und flach, bis zur Mündung der Somme und noch viel weiter – denn flach bleibt er, wenn man der Küstenlinie folgt bis Skagen an der Nordspitze Dänemarks. (Genau genommen sind die ersten nennenswerten Erhebungen, von Dünen und Dämmen abgesehen, erst irgendwo im nördlichen Kattegat, Skagen gegenüber, bei Göteborg zu finden. Es handelt sich dabei freilich um keine Steilküste sondern vielmehr um ins Wasser fließende, flach geschliffene Felsen.)

Ault ist also ein Ort des Übergangs, was ihn von anderen, weit bekannteren Städten wie Etretat, Dieppe oder Le Treport unterscheidet. Er markiert das Ende (den Beginn) jenes Küstenabschnitts, an dessen bizarren Formen, den Bögen, Nadeln und Höhlen, sich Malergrößen wie Claude Monet, Eugène Boudin und Camille Pissarro im 19. Jahrhundert abgearbeitet haben. Ault hingegen ist, trotz Victor Hugos offensichtlicher Begeisterung, wenig bekannt geblieben. Was den Ort allerdings neben seiner Lage aus gegenwärtiger Sicht ebenso interessant macht ist die Tatsache, dass die Küste, die der Schriftsteller im Jahr 1837 vorgefunden hat, heute eine völlig andere ist. Der stetig wiederkehrende Wellenschlag (der beachtliche Tidenhub beträgt hier mitunter über sechs Meter), die von Westen anpeitschenden Atlantikstürme, Hitze und Kälte fressen die Kalkfelsen langsam, aber stetig weg. Ein Rückgang der Küstenlinie von nicht weniger als 40 Metern wurde seit dem Jahr 1825 beobachtet, und man geht davon aus, dass spätesten 2044 die ersten Häuser der Ortschaft die Klippen hinabstürzen würden – hätte man nicht im Jahr 1983 verzweifelte Maßnahmen ergriffen, eine Betonmauer am Fuß des Ortes errichtet und große Felsblöcke unter den Klippen angehäuft, welche die zerstörerische Kraft der Brandung einbremsen sollen. Ihr Erfolg ist ungewiss, wie es scheint können sie die Erosion zwar nicht aufhalten, aber immerhin verlangsamen.

Die Felswände, die in der vorliegenden Bildserie FALAISES D'AULT abgebildet sind, stellen so gesehen ein Zeitdokument da – es wird sie so nicht mehr lange geben. Aber sie bieten möglicherweise ein wenig Trost – nicht nur durch ihre Schönheit, auch in Form der Hoffnung, das zu erwartende Ende vielleicht noch ein wenig hinauszögern zu können.

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Victor Hugo wrote about the small town of Ault on the French Atlantic coast in a letter to his wife Adèle in 1837: “This place is so beautiful, I could hardly take my eyes off it.” Indeed, Ault, which winds its way down towards the sea along a lane between extensive meadows and fields, is situated in a geographically quite interesting location. Hugo, who at the time was living in a villa on the banks of the Seine in Villequier about a hundred kilometers to the south, justified his trip to Ault with this very special location: „What brought me to the Bourg d'Ault is that it's here, where the cliff begins.“ The Norman cliffs, which stretch from Le Havre northwards for 120 kilometers and have a no less impressive counterpart on the other side of the English Channel, end (or, as Hugo sees it, begin) right here. North of the village of Ault, the beach is sandy and flat, all the way to the mouth of the Somme and much further - it actually remains flat if you follow the coastline to Skagen at the northern tip of Denmark. (Strictly speaking, the first significant elevations, apart from dunes and embankments, are only to be found somewhere in the northern Kattegat, opposite Skagen, near Gothenburg. Of course, these are not cliffs, but rather flat, polished rocks flowing into the water).

Ault is therefore a place of transition, which distinguishes it from other, more well-known towns such as Etretat, Dieppe or Le Treport. It marks the end (the beginning) of that stretch of coast whose bizarre shapes - arches, needles and caves - were the subject of 19th century painters such as Claude Monet, Eugène Boudin and Camille Pissarro. Ault, on the other hand, has remained little known, despite Victor Hugo's obvious enthusiasm. However, what makes the place just as interesting from a contemporary perspective is the fact that the coast that the writer found in 1837 is completely different today. The constantly recurring waves (the considerable tidal range here is sometimes over six meters), the Atlantic storms whipping in from the west, heat and cold are slowly but steadily eroding away the limestone cliffs. A decline in the coastline of no less than 40 meters has been observed since 1825, and it is assumed that the first houses of the village would fall down the cliffs by 2044 at the latest - had desperate measures not been taken in 1983. A concrete wall was built at the foot of the village and large boulders were piled up under the cliffs to slow down the destructive force of the surf. Their success is uncertain, but it seems that although they cannot stop the erosion, they will at least slow it down.

In that sense, the rock faces depicted in the series FALAISES D'AULT are a document of the times - they won't be around for much longer. But they may offer a little consolation - not only through their beauty, but also in the form of hope that we may be able to delay the expected end a little longer.