Anmerkungen zum Motiv des tropisch-regenzeitlichen Gartens

von Philipp Christoph Haas

Der Garten als literarischer Topos und Motiv der bildenden Kunst

In dem dreiteiligen Gedichtzyklus „Die Fruehen Gaerten“[1] des symbolistischen Lyrikers Karl Gustav Vollmoeller begegnet uns der Garten in drei Erscheinungsformen: Als hortus pueri, hortus rosarum und hortus somnii. Mit diesen drei Sphären - der Erinnerung, des Eros und des Traums - scheint das metaphorische Feld des Gartens als literarischer Topos trefflich umrissen. Daneben spielt der Garten natürlich auch für den Bereich des Religiös-Allegorischen eine wichtige Rolle, dies auch in der bildenden Kunst – man denke etwa an die Darstellungen von Paradies- und Lustgärten in der christlichen Kunst. Während im Rokoko und im Klassizismus primär die Anlage des Gartens und somit die Gartenarchitektur als solches im Fokus eines rein ästhetischen Interesses steht, bringt die Romantik den Garten auch in der Malerei als poetischen Raum in den Blick. Im Symbolismus schließlich wird – wohl wegen seiner geheimnisvollen „Verwunschenheit“ – vor allem der verwilderte Garten zum Bildmotiv, von der überwucherten Gartenwildnis bis hin zur morbiden Moorlandschaft.   

Der tropisch-regenzeitliche Garten

Auch die Leinwandbilder und Fotografien der hier vorgestellten Werkgruppe mit dem Titel „Un jardin pendant la mousson“[2]zeigen uns den Garten nicht als gepflegten Kulturraum, der angelegt wird, um die widerspenstig wuchernde Natur in eine mehr oder weniger strenge Ordnung zu zwängen, sondern als einen organischen, dicht verwachsenen Raum, der in nächster Nachbarschaft zur Wildnis zu verorten ist.

Die „Regenzeit“ (franz. „mousson“) im Titel der Werkgruppe eröffnet die Assoziationsfelder des Tropischen und des Aquatischen. Der tropische Garten ist während der feuchten Jahreszeit, die eine Jahreszeit üppiger Fruchtbarkeit ist, ein wuchernder, ein rasch verwildernder Garten. Näher als dem nach architektonischen Gesichtspunkten angelegten Park der klassischen Gartenbaukunst, ist dieser regenzeitliche Garten dem undurchdringlichen Dickicht des Regenwaldes verwandt. Seine Räumlichkeit ist schwerer fassbar als die klar strukturierte Räumlichkeit etwa eines barocken Schlossparks. Aus der Sicht des Malers muss die Bildkomposition ohne in die Tiefe des Raumes führendes Liniengefüge auskommen, eine Tiefenwirkung kann nur durch Staffelung von Pflanzen- und Landschaftselementen erreicht werden. Auch in der Fotografie stellt sich – anders als im Falle eines linearperspektivisch erfassten Architekturraums – kein Effekt einer Tiefenflucht ein, die räumlichen Elemente des regenzeitlich-überwucherten Gartens wirken vielmehr wie ineinander verschränkt, als wollte sich der Raum, anstatt sich in die Tiefe zu öffnen, im Bildmittelgrund in sich selbst verdichten.    

In den Dämmerhallen des Abends

Verstärkt wird dieser Effekt der Verdichtung in den meisten der Bilder von „Un jardin…“ durch das Element der Dunkelheit. Wie Eugène Minkowski[3] anmerkt, bewirkt die Dunkelheit wahrnehmungspsychologisch keine Weitung, sondern eine Verengung des Raums, genauer gesagt: die ansatzweise Aufhebung räumlicher Kategorien überhaupt. In völliger Dunkelheit nimmt der Mensch den ihn umgebenden Raum als undurchdringlich wahr, das Dunkel wird zur verdichteten „Masse“. Fällt nur wenig Licht ein, erleichtert dies die räumliche Orientierung nur bedingt, einzelne Lichtpunkte erscheinen als „Irrlichter“ in unbestimmbarer Distanz.

In den meisten der Bilder von „Un jardin...“ sind Lichtakzente sparsam gesetzt, werden in den Dienst der Modellierung der Figur gestellt, ohne die Dominanz der Dunkelheit im Raum zu brechen. Diese ist freilich keine völlige, keine nächtliche Dunkelheit, sondern das „sich senkende“ Dunkel der Dämmerung, die als ein besonderer Abschnitt im Tag-Nacht-Zyklus bewusst gewählt ist. 

Denn die Zeit der Abenddämmerung ist jene Zeit, da der Prozess der „Verdichtung“ – um beim von Minkowski gewählten Bild zu bleiben – noch an seinem Anfang steht, Dichte ist hier noch nicht gleichbedeutend mit Schwere: Als „Sehnsuchtsraum“ eignet dem Abend ja eine Beschwingtheit, etwas „Träumerisches“, in seinen „Dämmerhallen“[4] halten sich das Leichte des Sehnens und die Schwere des an der Schwelle zur Nacht erwachenden Triebhaften, Nächtlich-Abseitigen noch die Waage. Diese Ambiguität macht den Abend zu einem Raum gesteigerter Sensibilität, zu einem poetischen Raum par excellence

Der tropisch-regenzeitliche Abend ist, wie die Nacht in der symbolistischen Lyrik, „überwölkt und schwül“[5]. Hitze und Feuchtigkeit des Nachmittags liegen noch in der Luft, wie im Tiefflug gleiten abgeregnete Wolken in Fetzen über die Stadt, der Himmel scheint gegen die regennassen Straßen „abgesenkt“. Die Schwüle bedrängt, engt beim Atemholen ein, das Tropisch-Regenzeitliche manifestiert sich auch und vor allem durch das Element der Feuchtigkeit. So auch in den Bildern von „Un jardin…“: Der regennasse Garten, der an einem Teich oder Fluss liegt, wird zum aquatischen Raum, in dessen Farbigkeit die Skala des Maritimen in satten, dunklen Tonwerten überwiegt. Schwer lastet die mit Feuchtigkeit vollgesogene Luft über der spiegelnden Oberfläche des dunklen Gewässers, in den Regentropfen, die sich auf dem dichten Blattwerk gesammelt haben, schimmern und glitzern Reflexe, ein Teppich von Irrlichtern in der abendlichen Bläue.   

Der „andere“ Raum des nächtlich-regenzeitlichen Gartens

In Äquatornähe sind die Abende kurz, mit Fortschreiten der Zeit drängt rasch und übergangslos die Nacht heran. Heinz-Gerhard Friese geht in seiner Abhandlung „Die Ästhetik der Nacht“[6] so weit zu behaupten, das Dunkel der äußeren, irdischen Nacht sei nichts anderes als das nach Außen gestülpte lichtlose Innere des Leibes. Die tiefschwarzen Wasser des nächtlichen Teiches wären demnach wie die Nacht, die über ihnen steht und den Menschen auf die embryonale Urerfahrung zurückwirft, fremd und vertraut zugleich. Aufgehoben wäre auch der Gegensatz von offenem und geschlossenem Raum, von Innen und Außen: Der Raum der Nacht wird zu einem Raum unbestimmter Ausdehnung. Rhythmisch wie ein Puls hallen zu später Stunde die dumpfen Rufe der nachtaktiven Kreatur durch ein Dunkel, das bildnerisch gesprochen ganz Mittelgrund ist. Der Raum des nächtlich-regenzeitlichen Gartens, der uns auch unheimlich ist, wird zu jenem geheimnisvollen „anderen“ Raum, den nur die Dichter zu beschwören wagen:     

„Tauch hinab in den Strom/den das Weidicht umrauscht/den der Mond überblinkt!//Was dich bestimmt hat, bei Tag/alle Hüllen wirf ab/aller Trug werde verspült!“[7]

In den Abendbildern von „Un jardin pendant la mousson“ klingt all das nur als eine Möglichkeit an. An der Schwelle zur Nacht – und darin besteht ihr besonderer Reiz – öffnet sich in ihnen der Raum eines Übergangs, eines flüchtigen Dazwischen, in dem vieles angedeutet, aber nichts ausgesprochen, nichts entschieden ist.  

[1] Karl Gustav Vollmoeller: „Die Fruehen Gaerten“ – In: Parcival. Die fruehen Gaerten. Berlin: S. Fischer, 1903.

[2] Philipp Christoph Haas und Christoph Mayr: Un jardin pendant la mousson. Fotografie, Malerei, Assemblage. (2019)

[3] Eugène Minkowski: Die gelebte Zeit. Salzburg: Otto Müller 1971.

[4] Willi Fehse: Gedicht „Der Abend hängt in weite Dämmerhallen“ – In: Klaus Mann: Anthologie jüngster Lyrik. Hamburg, Gebrüder Enoch Vlg. 1927, Seite 23.

[5] Stefan George: Gedicht „Wir bevölkerten die abend-düstern Lauben“- In: Ders.: Das Buch der hängenden Gärten. Berlin: Georg Bondi 1920, Seite 112.

[6] Heinz-Gerhard Friese: Die Ästhetik der Nacht: Eine Kulturgeschichte. Hamburg: Rowohlt 2011.

[7] Stefan George: Gesamtausgabe der Werke, Band. 9. Berlin: Bondi 1928, Seite 94-95.